Forschungsgruppe „Materialcharakterisierung und -informatik für die Nachhaltigkeit von Baustoffen“

Quelle: BAM

Die Bauindustrie zählt in Europa zu den größten Abfallproduzenten und ist für ca. zehn Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Hinzu kommt eine große Menge an Bau- und Abbruchabfällen, die 25-30 Prozent des gesamten Abfalls in Europa ausmachen. Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Sabine Kruschwitz untersucht, wie Materialien und Prozesse, wo immer sinnhaft möglich, recycelt bzw. in eine Kreislaufwirtschaft überführt werden können.

Team

Ca. 10 - 15 Mitarbeitenden, darunter Postdocs, Doktorand*innen, Bachelor- und Masterstudierende, aber auch Gastwissenschaftler*innen, konzentrieren sich auf innovative Themen zur zerstörungsfreien Materialcharakterisierung und Materialinformatik von Baustoffen und ergänzen damit das wissenschaftliche Portfolio der Abteilung „Zerstörungsfreie Prüfung“.

Themen

Konkret treibt die Forschungsgruppe die folgenden Themen voran:

I) Materialcharakterisierung zur Unterstützung der Entwicklung von nachhaltigen Baumaterialien durch

  • die Entwicklung neuer Ansätze für die Bewertung der Dauerhaftigkeitseigenschaften
  • die Entwicklung von effizienten Werkzeugen zur Charakterisierung des frühen Hydratationsverhaltens/Rheologie von CO2-reduzierten Zementmischungen
  • die Entwicklung von (Multimethoden-)Lösungen für die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen

II) Materialinformatik zur

  • Beschleunigung der Entdeckung von umweltfreundlichen Baustoffzusammensetzungen durch einen datengesteuerten Ansatz
  • Entwicklung von KI-Softwaretools für materialwissenschaftliche Anwendungen
  • Erstellung, Integration, Anreicherung und Nutzung von semantischen Materialdatenstrukturen

Methoden

Gearbeitet wird mit folgenden Methoden der Materialcharakterisierung:

Niederfeld-1H-Kernspinresonanz (NMR) an der BAM

Die NMR-Relaxometrie wird insbesondere zur Materialcharakterisierung und zur Bestimmung von haltbarkeitsbeschreibenden Parametern wie Porosität, Permeabilität und Porengrößenverteilung eingesetzt. Im Hinblick auf die steigende Nachfrage nach ressourceneffizienten und CO2-reduzierten Materialien ermöglicht die NMR die Überwachung von Hydratationsprozessen und unterstützt damit die Bewertung und Optimierung von neu entwickelten Zementmischungen. Verfügbare Niederfeld-NMR-Geräte an der BAM sind NMR-MOUSE1 von Magritek Ltd. und MR Core Analyzing Tomograph2 von Pure Devices GmbH.

[1] https://magritek.com/products/nmr-mouse/ (09.07.2020)

[2] https://www.pure-devices.com/images/Flyer/Flyer_MR-CAT.pdf (09.07.2020)

Spektral Induzierte Polarisation (SIP)

Die Methode der spektralen induzierten Polarisation (SIP) ist eine etablierte geophysikalische Methode, die unsere Arbeitsgruppe seit mehr als 15 Jahren als zerstörungsfreies Prüfverfahren im Bauwesen einsetzt. Unsere Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf das Verständnis grundlegender Zusammenhänge (z. B. texturbedingte Steuerung der charakteristischen Frequenzabhängigkeit von Materialien) durch Labormessungen unter gut kontrollierten Bedingungen.

Weitere Methoden in Kooperation mit anderen Fachbereichen:

Anwendungsbeispiele und aktuelle Forschung

An folgenden Forschungsfragen arbeiten wir aktuell:

Bewertung von rezyklierten Baumaterialien

Die durchschnittliche Lebensdauer eines Gebäudes in Europa beträgt knapp 40 Jahre, dann wird es abgerissen. Der Grund ist oft so genannte funktionelle Überalterung: Soll ein Gebäude oder auch nur ein Teil davon einer Neu- oder Umnutzung zugeführt werden, fehlen für die Zulassung die erforderlichen Informationen zur ursprünglichen Bauweise. Aus dieser Praxis resultiert eine große Menge an Bau- und Abbruchabfällen, die 25-30 Prozent des gesamten Abfalls in Europa ausmachen. Das europäische Großprojekt „Reincarnate“, finanziert vom EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe, hat sich zum Ziel gesetzt, diesen wenig nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zu ändern.

Ansprechperson: Sabine Kruschwitz

Lesen Sie hier die Pressemitteilung aus 2022.

Video "Durch intelligente Kreislaufwirtschaft Bauabfälle vermeiden" zur Berlin Science Week 2022

Hydratationsverhalten von zementreduzierten Mischungen

Das Verständnis des spezifischen Hydratationsprozesses von neuen Zementmischungen ist der Schlüssel zur erfolgreichen Materialentwicklung. Dabei werden auch neue Methoden für die Bewertung und Klassifizierung der Baustoffeigenschaften in der Forschung untersucht. In unserer Arbeit wird sie eingesetzt, um den Hydratationsprozesse von alternativen, klimaschonenden Bindemitteln zu untersuchen und diese mit denen bekannter Zusammensetzungen verglichen.

Weitere Informationen zum Projekt und Ansprechpersonen finden Sie hier.

Transportprozesse von Feuchtigkeit und Salzionen in porösen Baumaterialien, analysiert mit NMR und LIBS

Die Messung der Transporteigenschaften von porösen Baustoffen auf Zementbasis ist wichtig, um die mechanischen Eigenschaften und die Haltbarkeit zu verstehen. In unserer Arbeit verwenden wir eine Kombination aus aus NMR und Laser-Induzierter Breakdown Spektroskopie (LIBS), um die Transporteigenschaften verschiedener Porensysteme und Solekonzentrationen zu untersuchen, und versuchen, auf der Grundlage unserer Beobachtungen materialspezifische Transportkoeffizienten zu bestimmen.

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Unterstützung der Kreislaufwirtschaft: Sortierung von Bau- und Abbruchabfällen in "LIBS-ConSort"

Geschlossene Stoffkreisläufe und sortenreine Materialfraktionen sind erforderlich, um hohe Verwertungs- und Recyclingquoten in der Bauindustrie zu erreichen. Beim Recycling von Bau- und Abbruchabfällen wurden bisher bevorzugt einfache, aber bewährte Techniken eingesetzt, um große Mengen an Bauschutt in kurzer Zeit zu verarbeiten. Dies steht im Gegensatz zu den immer komplexer werdenden Verbundwerkstoffen und Strukturen in der Mineralbaustoffindustrie. Eine automatisierte, sensorgestützte Sortierung der Baustoffe könnte die bisherige manuelle und damit gefährliche sowie aufwendige Praxis ergänzen oder ersetzen, um die Verarbeitungsgeschwindigkeit, die Recyclingquoten, die Sortierqualität und die gesundheitlichen Rahmenbedingungen zu verbessern.

Weitere Informationen zum Projekt und Ansprechpersonen finden Sie hier.

Grundlegende Forschung: Interpretation von NMR-Signalen in teilgesättigten Medien

Die NMR-Relaxationszeit von Wasserstoffprotonen in porösen Materialien hängt von zahlreichen Faktoren ab. Neben der molekularen Bindung wird das Relaxationsverhalten auch von der Umgebung, also beispielsweise von der Porengeometrie und der umgebenden mineralischen Zusammensetzung, beeinflusst.

Um auch die NMR-Signale teilgesättigter Systeme den Porengrößen zuordnen zu können, entwickeln wir an der BAM derzeit einen Ansatz, der auf der Adsorption basiert und die Berechnung der adsorbierten Wasserschichtdicke mit einbezieht.

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Multimethodische Analyse von Porenräumen in Sandsteinen

Zur Abschätzung der Feuchtigkeits- und Schadionentransporteigenschaften poröser Baustoffe werden häufig dessen Porengrößenverteilungen verwendet. Diese können durch verschiedene Methoden wie Quecksilberdruckporosimetrie (MIP) oder bildgebende Verfahren wie Mikro-Computertomographie (µ-CT) bestimmt werden, die jedoch nicht für den In-situ-Einsatz im Feld geeignet sind. Die kernmagnetische Resonanz (NMR) bietet diese Möglichkeit.

In unserer Forschung arbeiten wir mit einem systematischen multimethodischen Ansatz, der auf einer Kombination von MIP, NMR, µ-CT und der Spektralen Induzierten Polarisation (SIP) basiert und bisher hauptsächlich an Sandsteinen angewendet wurde. Wir konnten für einige der untersuchten Proben zeigen, dass erst die gemeinsame Auswertung der vier Methoden ein vollständiges Verständnis der charakteristischen Längen liefert. Dieser Ansatz soll nun verallgemeinert und schrittweise von Proben mit erst einfacheren und dann komplexeren Porensystemen übertragen werden.

Ansprechperson: Sabine Kruschwitz

Data Science: KI-App “SLAMD”

SLAMD ist eine Open-Source-App, die einen revolutionären Ansatz verfolgt, um den Prozess des Materialdesigns zu optimieren - insbesondere bei der Entwicklung von nachhaltigen Baumaterialien. Durch die steigende Komplexität von Baustoffrezepturen ist es zunehmend schwierig, durch herkömmliche Versuchs- und Irrtum-Methoden die ideale Formulierung zu finden. Mithilfe von globalen Optimierungs- und inversen Design-Techniken können jedoch alle möglichen Rezepturen durchsucht werden, um neue und verbesserte Ansätze zu finden. Die App basiert auf sequentiellem Lernen, einer Art von künstlicher Intelligenz, die aus empirischen Beobachtungen und Simulationen lernt und somit in der Lage ist, über bereits bekannte Materialien hinauszugehen und neue, nachhaltigere Lösungen mit weniger Daten zu finden. SLAMD bildet alle notwendigen Schritte des Workflows ab und senkt dadurch die Anwendungshürden.

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Interview mit Christoph Völker

Video "Nachhaltiges Bauen mit KI" zur Berlin Science Week 2022

Data Science: Ontologien

Messdaten sind eine wichtige Grundlage für wissenschaftliche Analysen im Bereich der zerstörungsfreien Prüfung (ZfP) im Bauwesen, jedoch gibt es bisher keine einheitliche Darstellung dieser Daten. Eine Analyse von Datensätzen über verschiedene Prüfobjekte oder Prüfarten hinweg erfordert daher einen hohen manuellen Aufwand. Wir untersuchen, wie intelligente Klassifikationsschemata, sogenannte Ontologien, genutzt werden können, um komplexe Daten effizient durchsuchbar zu machen. Während die Durchsuchbarkeit von Daten von der Definition von Suchbegriffen abhängt, ermöglichen die von der Ontologie definierten semantischen Regeln, die Beziehungen innerhalb einer Domäne berücksichtigen, eine noch umfassendere Suche in verschiedenen Disziplinen.

Wir erarbeiten daher systematisch Wissen darüber, wie intrinsische Merkmale von ZfP-Messungen mit Hilfe semantischer Technologien anwendungsorientiert dargestellt werden können. Daraus entwickeln wir Referenz-Workflows und Ontologie-Entwurfsmuster, die wir in der Forschungspraxis auf ihre Wirksamkeit hin testen und für zukünftige Arbeiten in diesem Bereich zur Verfügung stellen.

Ansprechperson: Benjamin Moreno Torres

Weiterführende Informationen