Probe wird im Ofen erhitzt

Kleine Probe - große Forschung: Daumennagelgroße Plättchen unterschiedlicher Glas-Mischungen werden mit kleinen Rissen versehen und im Ofen erhitzt; anschließend wird die Rissheilung untersucht.

Quelle: BAM

Hochtemperatur-Brennstoffzellen produzieren besonders umweltfreundlich elektrische Energie. Allerdings können beim Abkühlen leicht Risse an den Dichtungen entstehen. Die BAM hat einen Mechanismus der Selbstheilung erforscht.

Immer wieder hat Carsten Blaeß ein daumennagelgroßes Plättchen in einen fast 800 Grad Celsius heißen Ofen geschoben und anschließend unter dem Mikroskop betrachtet. Der BAM-Doktorand wollte ein physikalisches Phänomen ergründen: die Rissheilung in glasig-kristallinen Mikrostrukturen.

Seine Forschung soll dazu beitragen, dass Hochtemperatur-Brennstoffzellen länger halten und ihre sichere und wirtschaftliche Verwendung auch in Privathaushalten möglich wird. „Brennstoffzellen nutzen auf besonders effiziente Weise die chemische Energie von Wasserstoff zur Erzeugung von Strom und Wärme“, erklärt der Wissenschaftler. „Schon heute tragen sie in einigen Tausend Eigenheimen und in größeren Gebäudekomplexen zur dezentralen Energieversorgung bei.“

Feine Risse beim Abkühlen

Hochtemperatur-Brennstoffzellen erhitzen sich im Betrieb auf bis zu 900 Grad Celsius. Daher stellen sie besonders hohe Anforderungen an die Dichtungen, die alle Bauteile miteinander verbinden. Diese müssen bei hohen Temperaturen beständig, mechanisch stabil, elektrisch isolierend und für Wasserstoffmoleküle undurchlässig sein. Viele Hersteller verwenden Glas für die Dichtungen. Bereits beim Zusammenfügen der Zellenbauteile kristallisiert es aufgrund der Wärme und wandelt sich in eine elektrisch isolierende und gasdichte Barriere.

Im Dauerbetrieb funktionieren diese glasig-kristallinen Dichtungen bereits zuverlässig. „Das Problem taucht auf, wenn ein Eigenheimbesitzer seine Brennstoffzelle abschaltet“, erklärt Ralf Müller, der die Forschungen von Carsten Blaeß an der BAM betreut hat: „Beim Abkühlen ziehen sich die Bauteile unterschiedlich stark zusammen. Dadurch können feine Risse entstehen. Das kann zum Versagen der Zelle führen oder zum Austreten von Wasserstoff, der leicht entzündlich ist.“

Einfach austauschen lässt sich eine defekte Dichtung nicht, denn sie ist Teil eines Stapels, der bis zu 150 Einzelzellen umfasst. Im Schadensfall ist es also unvermeidlich, den ganzen Stapel zu wechseln – eine teure und wenig nachhaltige Methode. Je häufiger eine Hochtemperatur-Brennstoffzelle ein- oder ausgeschaltet wird, desto eher treten die Risse auf. „Ihr Entstehen wird nie ganz zu verhindern sein“, erklärt Blaeß. „Es wäre jedoch wünschenswert, wenn sie sich beim Aufheizen oder während des Betriebs von selbst wieder schließen.“

Vickerseindruck in Glas unter polarisiertem Licht

Risse in einer geschädigten Glasoberfläche unter dem Mikroskop

Quelle: BAM, Fachbereich Glas

Selbstheilung durch Fließen

Eine besonders gute Rissheilung zeigen Dichtungen aus Glas, das nicht kristallisiert. Wird es erwärmt, beginnt es zu fließen und verschließt die feinen Risse. „Wenn ich ein Messer in zähen Honig stecke und wieder herausziehe, fließt der Riss von selbst wieder zu. Ähnlich ist es bei heißem Glas“, veranschaulicht Blaeß den Selbstheilungseffekt. Eine solche Dichtung besitzt allerdings den Nachteil, dass sie bei hohen Temperaturen weich wird. Mit der Zeit wandern so Metallionen aus der angrenzenden Schicht ins Glas und können unerwünschte Korrosionsprodukte bilden, die womöglich einen Kurzschluss bewirken.

Um das zu vermeiden und die Dichtungen auch bei hohen Temperaturen mechanisch stabil zu machen, verwenden viele Hersteller Glas, das entweder bei der Produktion der Zelle selbst kristallisiert oder kristalline Füllstoffe enthält. In diesen Dichtungen ist allerdings aufgrund des geringen Glasanteils keine oder nur eine geringe Rissheilung möglich. Denn die Kristalle haben den Nachteil, dass sie das Fließen behindern. Die ideale Dichtung sollte also so viel Kristalle enthalten, dass sie die Korrosion begrenzen, nicht aber die erwünschte Rissheilung.

Eine überraschende Gesetzmäßigkeit

Um das richtige Verhältnis aus Glas und Kristallen zu finden, hat Carsten Blaeß verschiedene Mischungen aus Glas, das selbst nicht kristallisiert, und kristallinen Füllstoffen hergestellt. Der Vorteil: Der kristalline Anteil blieb in diesen Proben während der Versuche konstant. Er formte aus ihnen daumennagelgroße Plättchen, erzeugte mit einem pyramidenförmigen Gegenstand kleine Risse und erhitzte die Proben dann im Ofen. Anschließend untersuchte er die Rissheilung unter dem Mikroskop.

Wärmebehandlung der Probe bei fast 800 Grad Celsius (links) und Überprüfung der Rissheilung mit dem Laser-Scanning-Mikroskop (rechts)

Wärmebehandlung der Probe bei fast 800 Grad Celsius (links) und Überprüfung der Rissheilung mit dem Laser-Scanning-Mikroskop (rechts)

Quelle: BAM

„Wir waren die Ersten, die den Einfluss der Mikrostruktur auf die Rissheilung systematisch untersucht haben“, sagt Blaeß. Und nach monatelangen Testreihen fand er tatsächlich eine überraschende Gesetzmäßigkeit: So ist ein gewisser kristalliner Anteil im Glas sogar durchaus förderlich für die Rissheilung. „Risse schließen sich nicht einfach wie ein Reißverschluss von ihrer Spitze aus. Sie weiten sich auch auf“, so Carsten Blaeß. „Für dieses Aufweiten ist ein großflächiges Fließen notwendig, für das Zuziehen der Rissspitze dagegen nur ein lokal begrenztes.“ Durch einen steigenden kristallinen Anteil wird das großflächige Fließen zunehmend gehemmt; dadurch kann sich der Riss nicht mehr aufweiten. Das Erstaunliche: Lokal kann er sich nun sogar schneller zuziehen! Erst wenn der kristalline Anteil eine bestimmte Grenze überschreitet, wird auch das lokale Fließen gestoppt und damit die Selbstheilung.

Soweit die Theorie. Die Materialien des Doktoranden waren für die Forschungen im Labor optimiert; als ideal erwies sich dabei ein kristalliner Anteil von 17 Prozent. Bei der Glasentwicklung für die praktische Anwendung sind nun Kooperationspartner wie etwa das Forschungszentrum Jülich gefragt. „Als Forscher an der BAM stellen wir einerseits grundlegendes Wissen bereit, mit dem neue Technologien und Materialien für die Energiewende entwickelt werden können“, so Blaeß. „Andererseits benötigen wir dieses Wissen, um die Sicherheit diese Technologien sowie mögliche Schadensfälle zu bewerten und zu beurteilen.“

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