
Straßenbrücke im bayerischen Roding: Mit Ultraschall kann die Traglast solcher Bauwerke ermittelt werden.
Quelle: BAM
Deutschlands Brücken sind einem stetig wachsenden Verkehr ausgesetzt. Um die Tragfähigkeit der Bauwerke zu überprüfen, nutzen Statikerinnen und Statiker bisher vor allem alte Konstruktionspläne. Die BAM hat ein viel präziseres Ultraschall-Verfahren evaluiert.
Mehr als hunderttausend Brücken spannen sich in Deutschland über Täler, Flüsse und Autobahnen. Tagtäglich rollen Millionen Autos, Lkw und Busse über die Konstruktionen aus Beton und Stahl. Der Verkehr lässt die Bauwerke vibrieren, der Wind zerrt an ihnen. Im Wechsel der Jahreszeiten greifen Hitze, Regen, Eis und Schnee ihre Substanz an. Tausalz dringt ins Innere und lässt den Bewehrungsstahl korrodieren.
Alle drei Jahre werden die Bauten im Auftrag der Brückenbetreiber auf Risse und andere äußerliche Abnutzungserscheinungen überprüft. Werden verdächtige Stellen entdeckt, muss berechnet werden, ob die Traglast der Brücke dem stetig zunehmenden Verkehr noch gewachsen ist. Solche Kalkulationen stützen sich vor allem auf alte Baupläne, die oft schon viele Jahrzehnte zurückdatieren – falls sie überhaupt noch vorhanden sind. Das Innere der Brücke bleibt verborgen.
So ist letztlich nicht klar, ob alle sicherheitsrelevanten Elemente auch wirklich vorhanden sind und ob die stählernen Spannseile, die den Beton längs und quer durchziehen und ihn damit zusammenhalten, tatsächlich so eingebaut wurden wie vorgeschrieben. Schon eine Abweichung um wenige Zentimeter kann gravierende Auswirkungen auf die Tragfähigkeit und damit auf die Lebensdauer einer Brücke haben. „Diese Informationen sind wichtig, damit Straßenbaubehörden Sanierungen langfristig planen können und nicht erst aktiv werden, wenn bereits umfangreiche Arbeiten oder sogar ein Neubau erforderlich sind“, sagt Stefan Maack. Der Bauingenieur ist an der BAM Experte für die Ortung von Brückenschäden.
Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Schall
Maack und sein Team entwickeln wissenschaftliche Methoden, die ein präziseres Abbild vom Innenleben einer Brücke vermitteln. Sie wollen vermeiden, dass dafür die Bauwerke für Probenentnahmen aufgesägt werden müssen und greifen dabei auf eine bewährte Methode aus der Luftfahrtindustrie zurück: Dort untersucht man die Tragflächen, Rümpfe und Turbinen der Maschinen mit Ultraschallwellen auf Risse und andere Schäden. Jedes Material lässt Schallwellen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit passieren; dort, wo sich die Geschwindigkeit verändert, kann man einen Materialwechsel vermuten und lokalisiert ihn durch genauere Untersuchung.
Was bei dem gleichförmigen Werkstoff Metall noch verhältnismäßig leicht zu überprüfen ist, wird bei alten Brücken mit möglicherweise unklarer Materialzusammensetzung zur Herausforderung. „Unser Ziel war es, nachzuweisen, dass Ultraschallmessungen auch bei so heterogenen Baustoffen wie Stahlbeton zuverlässig funktionieren“, erklärt Stefan Maack.
Einzigartige Gelegenheit für einen ultimativen Belastungstest
Um die zerstörungsfreie Prüfmethode zu evaluieren, hat Maack etwas scheinbar Paradoxes getan: Er hat eine Brücke gezielt zersägt. Im Juli 2019 ergab sich dazu eine einzigartige Gelegenheit: Im bayerischen Roding sollte eine Straßenbrücke, die sich seit Jahrzehnten über den Fluss Regen spannte, durch einen Neubau ersetzt werden. Vorher durften Stefan Maack und sein Team mit einem Ultraschallgerät das Bauwerk untersuchen. Sie zeichneten damit an einem über 15 Meter langen Teilstück Messwerte auf. Überall dort, wo die Schallwellen auf die Grenze zwischen zwei Materialien trafen – wo also Beton an Stahl grenzte oder Beton an Luft –, wurde das Ultraschallsignal reflektiert. „So konnten wir anhand der Zeit, die die Schallwellen für den Hin- und Rückweg benötigten, genau errechnen, wo ein stählernes Spannglied saß oder wo sich Risse und Hohlstellen befanden“, erklärt Maack. Danach schufen er und sein Team am Rechner anhand der Daten ein exaktes Modell der Brücke und trafen Vorhersagen über ihren inneren Aufbau.
Um die Modelldaten zu überprüfen, setzten die Forscher die bereits für den Verkehr gesperrte Brücke einem ultimativen Belastungstest aus: Ihre Kooperationspartner von der Münchener Universität der Bundeswehr, die das Experiment federführend begleiteten, ließen einen 54 Tonnen schweren Bergepanzer in Höchstgeschwindigkeit über das gesamte Bauwerk donnern und dann abrupt abbremsen. Die Brücke bog sich in der Mitte um mehrere Zentimeter durch.

Belastungstest mit einem Bergepanzer: Mit Ultraschall lässt sich erkennen, wo Spannglieder sitzen oder sich Risse und Hohlstellen befinden.
Quelle: BAM
Als die Brücke schließlich abgerissen wurde, ließen die BAM-Forscher die tragenden Betonstege des mit Ultraschall gescannten Teilstücks in meterbreite Scheiben zersägen. Noch vor Ort ergab ein erster Abgleich der Schnittflächen mit den per Ultraschall erhobenen Daten, dass die Wissenschaftler das Innere des Bauwerks exakt bestimmt hatten; alle Stahlelemente befanden sich an den zuvor ermittelten Positionen. Zusätzlich entnahmen die Wissenschaftler aus den Brückenfragmenten Bohrkerne und schickten sie nach Berlin.
Im Labor untersuchten sie die genauen Eigenschaften des Betons und konnten so die Ultraschalldaten nachträglich kalibrieren. Das Verfahren hatte den Praxistest bestanden. „Wir haben den Leistungsnachweis für die zerstörungsfreie Prüfung an einer Brücke erbracht“, erklärt Maack. „Und wir können ihn mit Zahlen belegen.“
Nun will der BAM-Forscher das Verfahren auch für die Anwendung in der Praxis tauglich machen. Weil der Verkehr in Deutschlands weiter zunimmt, wird auch der Bedarf an statischen Nachberechnungen steigen. In Zukunft werden also lediglich wenige Bohrkerne von Brücken vor Ort entnommen, um damit Ultraschallgeräte zu kalibrieren, mit denen dann hochpräzise Daten zur Tragfähigkeit zur Verfügung stellen. Diese Daten können Schäden rechtzeitig sichtbar machen. Oder im Fall von Brücken, deren Lebensdauer eigentlich abgelaufen ist, womöglich belegen, dass sie noch eine Weile tragfähig sind.