Doktorandin Thi Yen Nguyen bedient die Kugelmühle mit dem von der BAM entwickelten Mahlbecher.

Doktorandin Thi Yen Nguyen bedient die Kugelmühle mit dem von der BAM entwickelten Mahlbecher.

Quelle: BAM

Mörser und deren moderne Varianten, die Kugel- oder Schwingmühlen, dienen Chemikern meist zum Zerkleinern von Materialien. Sie sind ein altbewährtes und alltägliches Werkzeug. Dabei wurden sie bereits im dritten Jahrhundert für die Synthese chemischer Substanzen eingesetzt. Der deutsch-baltische Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald (1853–1932) beschrieb die Methode des Zermahlens, die Mechanochemie, als vierte Möglichkeit neben Elektro-, Thermo- und Photochemie, um chemische Reaktionen hervorzurufen.

Während in Osteuropa weiter an der Mechanochemie geforscht wurde, geriet sie im Westen in Vergessenheit. „Jetzt ist sie wieder voll im Trend“, sagt Dr. Franziska Emmerling, Leiterin des Fachbereichs Strukturanalytik. Warum? Der Vorteil mechanochemischer Verfahren ist, dass keine Lösungsmittel benötigt werden. Die Reaktionen sind schneller durchführbar und man erhält reine Syntheseprodukte aus den Ausgangsverbindungen. Vor allem im Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit bei chemischen Prozessen – „Green Chemistry“ – birgt Mechanochemie großes Potenzial.

Blick in die Black Box

Doch was genau passiert, wenn zwei chemische Verbindungen miteinander verrieben werden? „Der Mahlvorgang und die exakten Syntheseprozesse sind für uns eine Black Box“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie forscht im Rahmen eines DFG-Schwerpunktprogramms zur Thematik. Einerseits will sie ein besseres Methodenverständnis erlangen, andererseits könnte sie aber auch anderen BAM Abteilungen bessere Informationen über die Eigenschaften chemischer Substanzen liefern.

Ihr Team hat nun eine Methode entwickelt, um Licht ins Dunkel zu bringen. Dafür haben sie einen transparenten Mahlbecher aus Plexiglas gebaut, der einem Überraschungsei ähnelt. Er wird auf eine bestehende Kugelmühle gesetzt und mit mindestens zwei unterschiedlichen Pulvern gefüllt. Gibt man noch zwei Stahlkügelchen hinzu und lässt das Gerät wenige Minuten schütteln, kann man genau beobachten, wie durch das Verreiben eine neue chemische Verbindung entsteht.

Transparent muss das Gefäß sein, weil Dr. Emmerling und ihre Kollegen den Mahlvorgang von außen analysieren. Dies tun sie am „BESSY II“, dem Elektronenspeicherring der Helmholtz-Gesellschaft, der sich direkt gegenüber des BAM Standorts in Adlershof befindet. Dort werden Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und im Kreis geführt, wobei elektromagnetische Wellen in hoher Intensität und großer Vielfalt entstehen. Unter anderem auch besonders starke Röntgenstrahlen, die das Team für diese Untersuchungen benötigt.

Mithilfe von Röntgen-Pulverdiffraktometrie und Ramanspektroskopie lässt sich bis auf die kristalline und molekulare Ebene beobachten, was exakt beim Mahlen passiert. Die bisherigen Ergebnisse haben auch Dr. Emmerling überrascht: „Wie schnell die Reaktionen zum Teil ablaufen, das hätten wir nicht erwartet.“

Zwei Pulver wurden im „Überraschungsei“ von Stahlkugeln zu einem Produkt gemahlen.

Zwei Pulver wurden im „Überraschungsei“ von Stahlkugeln zu einem Produkt gemahlen.

Quelle: BAM

Industrie hat großes Interesse

Die Grundlagenforschung der BAM dient vor allem dem Methodenverständnis. „Aber auch die Industrie hat großes Interesse“, sagt Emmerling. Welchen konkreten Anwendungen mechanochemische Prozesse in Zukunft zugrundeliegen, darüber kann sie auch nur spekulieren. Mit der Methode ließen sich in der Chemieindustrie wohl größere Mengen an Inhaltsstoffen auf einmal verarbeiten. Auch in der Futtermittel- und Recyclingbranche, wo Stoffe durch physische Energie miteinander vermengt werden, könnte ein besseres Verständnis solcher Prozesse sehr nützlich sein.

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