21.09.2020
Dr.-Ing. Anja Waske

Quelle: Anja Waske

In Würdigung des deutsch-amerikanischen Werkstoffwissenschaftlers Georg Sachs zeichnet die Deutsche Gesellschaft für Materialkunde e. V. (DGM) jährlich herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Materialwissenschaft aus. In diesem Jahr geht die Auszeichnung an die BAM-Wissenschaftlerin Dr.-Ing. Anja Waske. Als Leiterin des Fachbereichs Radiologische Verfahren arbeitet und forscht sie an der BAM zusammen mit ihrem Team im Bereich der zerstörungsfreien Prüfung an der Entwicklung von Röntgenverfahren und untersucht die Zuverlässigkeit und Einsatzgrenzen von Konstruktions- und Funktionswerkstoffen und Bauteilen.

Frau Waske, was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsgebiet?

Haben Sie schon einmal am Flughafen einen Blick auf den Bildschirm eines Röntgenscanners geworfen? Und durch ihre Tasche hindurchgesehen, welcher Inhalt sich darin befindet? Ihren E-Reader für den Urlaub, das Telefon… Und dann zum ersten Mal gesehen, wie diese Dinge von innen aussehen? Mit Röntgenbildgebung kann man den Aufbau von Materialien und Gegenständen im wahrsten Sinne des Wortes „durchschauen“. Dabei suchen wir nach Defekten oder vermessen komplizierte Strukturen. Das ist sehr abwechslungsreich und wird einfach nie langweilig.

Vor der BAM waren Sie am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden – welche thematischen Anknüpfungspunkte gab und gibt es?

Beide Institute tragen die Material- bzw. Werkstoffforschung im Namen, und auch inhaltlich gibt es eine Menge Anknüpfungspunkte. Als Leibniz-Institut befasst sich das IFW mit ausgewählten Themen, die es von der der ersten Idee – also der Grundlagenforschung – bis zu Anwendung begleitet. Die BAM als Ressortforschungseinrichtung geht gewissermaßen den umgekehrten Weg, und versucht, technische Antworten für Herausforderungen zu finden, die in einigen Jahren oder Jahrzehnten auf die Menschen zukommen. Energiewende, Klimawandel, Mikroplastik – die BAM ist überall dabei, wo es in der Zukunft brenzlig werden könnte. Beide Institute arbeiten teilweise mit sehr ähnlichen wissenschaftlichen Methoden, wie z.B. der 3D Röntgen-Computertomographie, um gezielt Materialien zu testen und neue Herstellungsverfahren wie die additive Fertigung zu verbessern. Deshalb arbeiten wir mittlerweile auch institutsübergreifend zusammen, in Projekten, die die Grundlagenforschung des IFW mit den anwendungsnahen Fragestellungen der BAM verknüpfen.

Am IFW leiteten Sie eine Nachwuchsgruppe – an der BAM nun einen Fachbereich. Welche Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede gibt es für Sie?

So unterschiedlich ist es gar nicht, die Neugier und der Spaß am Experimentieren ist hier wie dort sehr ausgeprägt. Meine Erfahrung ist, dass die besten Ideen immer dann entstehen, wenn sich die Leute aufeinander einlassen und sich trauen jemand anderen zu fragen, wenn sie selbst nicht mehr weiterkommen. „Wissen schaffen“ bedeutet ja gerade, dass man noch nicht weiß, wie etwas funktioniert. Aber man kann sich gemeinsam auf den Weg machen und es herausfinden.

Und ansonsten: Die Mischung macht’s! Wie gut sich unterschiedliche fachliche Hintergründe und Nationalitäten gegenseitig ergänzen, habe ich im IFW gelernt. An der BAM ist zusätzlich noch die Altersspanne in meiner Gruppe sehr viel größer als bisher, und gerade der Erfahrungsschatz der Älteren ist eine große Bereicherung für die gemeinsame Arbeit. Und ich hatte das große Glück, immer in gemischten Teams zu arbeiten. Das ist leider immer noch keine Selbstverständlichkeit, dabei macht es die Zusammenarbeit viel schöner und auch produktiver.

Blick in die Zukunft: Was können radiologische Verfahren in den nächsten Jahrzehnten leisten?

Die reale und die virtuelle Welt verschmelzen zunehmend, das erleben wir nicht erst seit der Corona-Krise. 3D-Röntgenbildgebung bildet eine Schnittstelle zwischen diesen Welten, weil es eine der ganz wenigen Methoden ist, mit denen reale Objekte – bzw. zunächst mal deren 3D-Struktur - digitalisiert werden können. Für einfache Strukturen reicht diese digitale Information schon aus, um das Objekt z.B. mittels 3D-Druck an jedem anderen Ort der Welt und zu einer beliebigen Zeit reproduzieren zu können. Das klingt nach Science-Fiction und Teleportation, ist aber bereits heute für manche Anwendungsfälle - man denke an Ersatzteile oder die Raumfahrt - schon Realität.

Im selben Maße, wie das reale Objekt somit an Bedeutung verliert, wird die digitale Information darüber wichtiger. Wir betreiben bereits heute einen sehr viel größeren Aufwand, die 3D-Daten, die wir mit Röntgenbildgebung erzeugen, auszuwerten, als wir in die eigentliche Messung stecken müssen. Dies wird sich in Zukunft noch verstärken, denn die Hardware wird immer besser und schneller, und die Methoden der Datenauswertung mächtiger und umfangreicher. 3D-Bildgebung wird deshalb mehr und mehr zu einer Datenwissenschaft werden, in der Algorithmen eine entscheidende Rolle bei der Aus- und Bewertung von Datensätzen spielen werden.

Über die DGM und den Georg-Sachs-Preis

Die Deutsche Gesellschaft für Materialkunde e.V. engagiert sich für eine kontinuierliche inhaltliche, strukturelle und personelle Weiterentwicklung des Fachgebiets der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik. Mit dem Georg-Sachs-Preis werden wissenschaftliche Arbeiten ausgezeichnet, die in möglichst enger Beziehung zur Praxis der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik stehen. Die Auszeichnung wird vom Stifterverband Metalle und dem Fachverband der Nichteisen-Metallindustrie Österreichs gemeinsam ausgelobt. Die Preisverkündung erfolgt öffentlich in feierlicher Form anlässlich der Jahreshauptversammlung der DGM.