Gruppenbild mit Wolfram Schmidt

Wolfram Schmidt ist regelmäßig in Afrika unterwegs, um die Entwicklung nachhaltiger Baumaterialien zu begleiten und die Ausbildung junger Ingenieur*innen auf dem Kontinent zu fördern

Quelle: BAM, Fachbereich Baustofftechnologie

Seit zehn Jahren ist Wolfram Schmidt immer wieder für die BAM in Afrika unterwegs. Seine Mission: Die Entwicklung nachhaltiger Baumaterialien aus natürlichen Rohstoffen, die Energie einsparen und dem Klimaschutz dienen. Im letzten Jahr ist er dafür zusammen mit seinem Kollegen Dr. Kolawole Olonade von der Universität Lagos ausgezeichnet worden und erhielt von Bildungsministerin Anja Karliczek den „Deutsch-Afrikanischen Innovationsförderpreis“. Soeben ist er von einer Reise nach Lagos, Nigeria, zurückgekehrt.

„Wenn man erzählt, dass man nach Lagos reist, hört man vorher viele Geschichten über Krankheiten, Entführungen, bewaffnete Konflikte oder über Terrorgefahr. Wir Europäer verbinden viele Ängste mit Afrika – und Nigeria gilt immer als das schlimmste Land. Dabei berühren viele regionale Konflikte Lagos gar nicht. Ich habe mich in der Stadt sicher und wohl gefühlt.

Wenn man in Lagos landet, ist man zunächst überrascht, wie winzig der Flughafen ist – im Vergleich zu der Stadt, in der 22 Millionen Menschen wohnen. Der erste Eindruck auf dem Weg zum Hotel: Eine riesige Metropole, wie ich sie so nie zuvor gesehen hatte. Lagos ist eine Lagunenstadt. Die Brücken, die die einzelnen Inseln und Stadtteile miteinander verbinden, sind wie Nadelöhre. Die Hauptverkehrsachsen sind immer verstopft. Es kann passieren, dass man für wenige Kilometer mehrere Stunden im Auto sitzt.

2100 eine der größten Metropolen der Welt

Unterwegs sieht man ausgedehnte Slums mit Wellblechhütten und Bretterbuden, aber auch viele Wohn- und Geschäftsviertel. Die Geschäftszentren sind sehr modern. Das gesamte Stadtbild ist überwältigend. Was wir Europäer gewöhnlich nicht vor Augen haben, wenn wir an Lagos denken: Dort erheben sich unzählige Wolkenkratzer. Der Platz in der Stadt ist begrenzt – also wird in die Höhe gebaut. Prognosen besagen, dass Lagos im Jahr 2100 neben Kinshasa und Daressalam die größte Metropole der Welt sein wird und dann mehr Einwohner zählt als Deutschland: über 88 Millionen. In ganz Nigeria sollen schon in 50 Jahren mehr als 500 Millionen Menschen leben.

Verkehr und Gebäude in Afrika

Die Wirtschaft boomt in vielen Ländern des Kontinents

Quelle: BAM, Fachbereich Baustofftechnologie

Es wird also in Zukunft unendlich viel gebaut werden. Und genau deswegen sind wir als BAM in Afrika und in Nigeria präsent. Afrika ist noch der einzige Fleck auf der Erde, wo der CO2-Ausstoß niedrig ist und man innovative, klimaschonende Bautechniken umsetzen kann, um so Fehler der Vergangenheit zu vermeiden.

Zusammen mit meinem Kollegen Dr. Kolawole Olonade von der Universität Lagos haben wir einen neuartigen Beton entwickelt, der die Reststoffe der Cassava-Pflanze nutzt. Nigeria produziert 20 Prozent der weltweiten Ernte an Cassava. Die Schalen sind ungenießbar und auch für Tiere unverdaulich. Wir können aus den Abfällen zunächst organische Zusatzmittel gewinnen, die helfen, Wasser bei der Herstellung von Beton zu sparen, und dessen Verarbeitung verbessern. Indem wir die Schalenreste dann verbrennen, erzeugen wir Energie erzeugen und können die dabei entstehende Asche als nachhaltigen Zementersatz verwenden.

Die Chance zu Sprunginnovationen

Das ist nur ein Beispiel dafür, dass Afrika gewaltige Potenziale in der Materialtechnik hat – aus dem Mangel an so vielen Dingen erwächst eine unglaubliche Kreativität. Auf dem Kontinent gibt es viele Chancen für Sprunginnovationen. Es geht also darum, bestimmte althergebrachte Bautechniken, die zu viel Energie und CO2 verbrauchen, dort gar nicht erst anzuwenden. Ähnlich wie mit der Festnetztelefonie. Die hat Afrika nie berührt. Deshalb ist Afrika im Bereich mobiler Märkte und Transaktionen weltweit häufig Innovationstreiber.

„Die Potenziale Afrikas sind gewaltig“

Um auch im Bereich der Baustoffe einen Sprung zu erreichen, wird es vor allem darauf ankommen, die Generation der künftigen Bauingenieure entsprechend auszubilden und zu schulen – sie sind der Hebel für den Wandel. Und u.a. deswegen war ich in Lagos. Ich habe auf einer Konferenz der African Engineering Education Association (AEEA) von den Ergebnissen einer anderen Tagung berichtet, die die BAM im Januar in Nairobi organisiert hatte. Bei diesem früheren Treffen – veranstaltet unter dem Motto Innovation, Science, Engineering and Education (ISEE) – ging es um neue Wege in der Ausbildung von Bauingenieuren, Architekten und Materialexperten und wie man diese Berufsgruppen für die Herausforderungen der Zukunft wappnen kann.

Sie werden in Zukunft viel mehr soft skills besitzen müssen: ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit, für klimaschonendes Bauen und vor allem für ihre soziale Verantwortung. Es ging auch um die Gleichstellung der Frauen in der Ingenieursausbildung, ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.

Große Offenheit für das Neue

Ich habe in Lagos auch eine Vorlesung über neue klimaschonende Bautechniken und pflanzenbasierte Komponenten für Hochleistungsbeton gehalten. Studierende in Afrika unterscheiden sich stark von ihren Altersgenossen in Europa. Die meisten wirken reifer, besitzen mehr Lebenserfahrung. Viele hatten ihre erste Bildungserfahrung in einer Dorfschule, gegebenenfalls unter einem Schatten spendenden Baum – heute arbeiten sie am Computer mit komplexen Simulationsprogrammen. Alle sind unglaublich motiviert und wollen wirklich etwas lernen. Während einer Vorlesung beschäftigt sich kaum jemand mit seinem Handy – obwohl natürlich alle mindestens eines besitzen.

Bei diesen Studierenden spürt man einen Aufbruchsgeist und eine große Offenheit gegenüber neuen Ideen. Es gibt keine Denkverbote. Afrika könnte mit dieser jungen Generation tatsächlich ein Innovationspionier werden.

Gruppenbild mit Wolfram Schmidt

Wolfram Schmidt unterstützt afrikanische Wissenschaftler*innen bei Tagungen und Workshops und begleitet die Forschung zu nachhaltigem Beton

Quelle: BAM, Fachbereich Baustofftechnologie

Die BAM genießt in Nigeria und anderen afrikanischen Ländern ein hohes Ansehen. Das Interesse an einer Zusammenarbeit ist groß. Wir haben in den zehn Jahren intensiver Kooperation in Afrika immer Hand in Hand mit unseren Partnern gearbeitet, uns gegenseitig gestärkt und gemeinsam gelernt. Stets versucht zu überlegen: Wie kann man traditionelle Bauweisen auf einen modernen Stand bringen? Die Idee, mit Cassava-Reststoffen Zement zu ersetzen, kommt ursprünglich aus Nigeria; die Ergänzung um die organische Komponente stammt von der BAM. Wir wollen dabei helfen, diese Innovation bestmöglich zu nutzen.

Mit dem Geld des deutsch-afrikanischen Innovationsförderpreises werden Kolawole Olonade und ich bis zum nächsten Frühjahr zusammen mit Studierenden auf dem Campus der Universität Lagos einen Bungalow aus Cassava-Zement errichten. Es soll ein Lehrgebäude sein. Auf den Wänden wollen wir Informationen über die CO2-Bilanz von herkömmlichem Zementbeton geben und wie man sie mit Cassava-Reststoffen reduzieren kann.

Als jemand, der sehr viel auf dem Kontinent unterwegs ist, verbinde ich mit Afrika weniger Ängste als vielmehr große Zukunftshoffnungen. Städte wie Nairobi, Lagos und Accra sind teils fortschrittlicher als Berlin. Mein Internet ist jedenfalls in vielen afrikanischen Metropolen schneller als hier und viele Dinge des Alltags werden viel pragmatischer und unbürokratischer gelöst als man es von hier gewohnt ist. Auch für die mittelständische Wirtschaft aus Deutschland liegen in Afrika große Chancen. Die Märkte dazu und ein großes Interesse für sicheres und nachhaltiges Bauen sind da.“

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Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Kolawole Olonade von der Universität Lagos erhielt Wolfram Schmidt von Bildungsministerin Anja Karliczek den „Deutsch-Afrikanischen Innovationsförderpreis und begleitete die Afrika-Reise der Ministerin 2019

Quelle: BAM, Fachbereich Baustofftechnologie

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