Prof. Dr. Irene Nehls

Prof. Dr. Irene Nehls

Quelle: BAM

Prof. Dr. Irene Nehls wurde im Juni 2022 mit der Clemens-Winkler-Medaille der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) für ihre Verdienste um die Entwicklung der Analytischen Chemie sowie für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Zwischen 1993 und 2017 hat sie an der BAM den Bereich der organischen Referenzmaterialien aufgebaut und viele wichtige Analysen durchgeführt. Im Interview spricht sie über ihre Faszination für die analytische Chemie, das Ergreifen von Chancen und die Freude an der Weitergabe von Wissen.

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Zuerst einmal war sie eine riesengroße Überraschung. Damit hätte ich nie gerechnet. Sieht man sich die Preisträger der letzten Jahre näher an, dann erkennt man, dass fast alle aus dem universitären Bereich der Grundlagenforschung kommen. Unsere Arbeiten an der BAM beschäftigten sich dagegen mit angewandter Forschung. Dabei ging es vordringlich um die Entwicklung und Optimierung von Analysenmethoden und deren Validierung. Unerlässlich für die Sicherung der analytischen Qualität im Labor sind dabei Referenzmaterialien, sowohl in reiner Form als auch sogenannte Matrixreferenzmaterialien, in denen die zu untersuchenden Substanzen mit „Matrices“ wie Erdboden, Holz oder auch Lebensmitteln vermischt sind. Die Entwicklung, Herstellung und Zertifizierung unterschiedlichster Matrixreferenzmaterialien in enger Verbindung mit der Entwicklung entsprechender Analysenverfahren war in den 25 Jahren der Fokus der Arbeiten in unserem Fachbereich.

Dieser Preis bedeutet eine Anerkennung und Akzeptanz unserer Arbeiten als wissenschaftliche Leistung im Sinne der Forschung. Es ist nicht mein Preis, sondern auch der Preis für alle, die an diesen Arbeiten mitgewirkt haben.

In der 68-jährigen Geschichte dieses Preises sind Sie die erste Frau, die ihn erhalten hat. Haben es Wissenschaftlerinnen in der Chemie besonders schwer?

Ich kann die Frage nur aus meiner Sicht beantworten: Für die berufliche Lebensplanung ist meines Erachtens jeder selbst verantwortlich, egal ob Mann oder Frau. Bei Frauen kommt sicher erschwerend dazu, dass – so gewünscht – Kinder und Beruf vereinbar sein müssen und dass sich die Ehepartner gegenseitig unterstützen. Dann ist alles möglich und Wissenschaftlerinnen haben es dann in der Chemie oder in anderen Fachgebieten nicht schwerer als ihre männlichen Kollegen. Sie müssen es aber auch wollen und bereit sein, Verantwortung zu übernehmen für fachliche und personelle Entscheidungen.

Was – oder wer – hat ursprünglich Ihr Interesse für die analytische Chemie geweckt? Und wie kam es zu dem Entschluss, eine wissenschaftliche Karriere auf diesem Gebiet einzuschlagen?

Mein Interesse an der Chemie wurde bereits in der Schule geweckt. Durch eine Lehrerin, die uns zu begeistern verstand. Im Chemie-Studium fiel dann die Entscheidung speziell für die analytische Chemie, denn keine andere Disziplin innerhalb der Chemie ist so vielfältig. Den Plan, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen, gab es so anfangs nicht. Es war eher der berühmte Zufall, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. So entschied ich mich nach dem Studium für eine Promotion ebenfalls in der analytischen Chemie und konnte, das erscheint mir im Rückblick besonders wichtig, bereits als Assistentin auch Erfahrungen auf dem Gebiet der Hochschulpädagogik, also in der Lehre, sammeln.

1993 sind Sie an die BAM gekommen und haben den damals ganz neuen Bereich der organischen Referenzmaterialien aufgebaut. Sie haben in der Folge viele Untersuchungen zu Schadstoffen in der Umwelt, in Lebensmitteln und Konsumgütern durchgeführt, zum Schutz von Böden und dem Grundwasser, und so die Grundlage für die wichtige Rolle der BAM auf diesem Gebiet geschaffen. Wie sind Sie zu diesen Themen gekommen?

Die Aufgabenstellung, organische Referenzmaterialien zu entwickeln, war schon eine Herausforderung. Es sollte ein Pendant werden zu den bereits an der BAM existierenden anorganischen Referenzmaterialien. Aber die Rahmenbedingungen waren ungleich komplizierter. Denn organische Substanzen in unterschiedlichen Matrices müssen so behandelt und gelagert werden, dass ihre Stabilität gewährleistet ist. Untersuchungen zur Kurz- und Langzeitstabilität bildete einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem Referenzmaterial. Der zweite Punkt, der beachtet werden musste, war die Homogenität der Proben. Es war also ein hohes Maß an unterschiedlichsten Arbeiten nötig, um die Grundlagen für ein Referenzmaterial zu schaffen.

Die Basis für unsere Arbeiten auf dem Gebiet der Böden war das Bundes-Bodenschutzgesetz und die entsprechende Verordnung, in der die Analysenmethoden festgeschrieben wurden. Bei der Erarbeitung und Validierung dieser Analysenverfahren war unsere Gruppe maßgeblich beteiligt. Die entwickelten Boden-Referenzmaterialien bildeten die Grundlage für die Methodenvalidierung und waren ein wichtiger Baustein für den Kompetenznachweis unterschiedlicher akkreditierter Laboratorien in der Industrie oder im öffentlichen Sektor.

Über die Kooperation mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und dem damaligen Europäischen Institut für Referenzmaterialien (IRMM) in Belgien bekamen wir die Anfrage, auch auf dem Gebiet der Lebensmittel aktiv zu werden. Unser erstes Referenzmaterial war gemeinsam mit dem IRMM "Acrylamid in Knäckebrot". Dann folgten z.B. Mycotoxine, also Schimmelpilzgifte, in Getreide, Kaffee und Wein oder Flammschutzmittel in Fischen.

Welche Rolle haben der interdisziplinäre Austausch und die internationale Vernetzung bei Ihrer Arbeit gespielt?

Die Zusammenarbeit mit vielen analytisch arbeitenden Laboratorien in Deutschland aus dem Bereich der Umwelt und Lebensmittel war für uns besonders wichtig, da die Zertifizierung von Referenzmaterialien im Rahmen von Ringversuchen erfolgte. Die erfolgreiche Teilnahme an diesen Ringversuchen sicherte andererseits den Laboratorien den Kompetenznachweis im Rahmen der Akkreditierung.
Im europäischen und internationalen Rahmen ging es über den fachlichen Austausch hinaus um die gegenseitige Anerkennung der Qualität der Referenzmaterialien auf der Grundlage einheitlicher Regeln und Verfahren als "Europäisches Referenzmaterial", von denen die BAM sehr viele erfolgreich in den Markt gebracht hat.

Sie haben zahlreiche Doktorand*innen und Diplomand*innen betreut, seit 2006 auch als Professorin an der Humboldt-Universität Berlin gelehrt, an der BAM zusammen mit der GDCh Summer Schools ins Leben gerufen. Wie wichtig war Ihnen neben der Forschung der Austausch mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs?

Das Interesse an den Naturwissenschaften wird am häufigsten in der Schule geweckt. Es sind Lehrerinnen und Lehrer, die mit Begeisterung ihre Fächer unterrichten und hoffen, dass der Funke überspringt. Wenn dann im Studium die harte Zeit des Lernens die Begeisterung dämpft, dann müssen Wege gefunden werden, um den Studierenden aufzuzeigen, welche Möglichkeiten und Chancen sie während und nach dem Studium haben.

So war die Fülle an analytischen Problemen und aktuellen Beispielen, mit denen wir täglich in unseren Laboratoren zu tun hatten, eine gute Grundlage für meine Vorlesung. War das Interesse erst einmal geweckt, bewarben sich die Studentinnen und Studenten dann bei uns, um ihre Diplom- bzw. Bachelor- und Masterarbeiten zu absolvieren und oft danach noch eine Promotion anzuhängen.

Es geht also um das Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs, um das Mutmachen in nicht so erfolgreichen Phasen und um die Stärkung der Persönlichkeit, menschlich wie wissenschaftlich.

Was würden Sie jungen Wissenschaftler*innen, die heute am Beginn ihrer Karriere stehen, mit auf den Weg geben?

Es ist gar nicht so einfach, Ratschläge zu erteilen. Jede und jeder muss den eigenen Weg finden. Aber man findet nur, was man auch sucht. Die Offenheit allem Neuen gegenüber, das kritische Hinterfragen und die eigene Authentizität sind wichtige Ratgeber, um den richtigen Weg für sich zu finden.

Auch nach Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn sind Sie weiterhin aktiv und haben eine Ausbildung zur Naturtrainerin beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) absolviert, arbeiten in der Umweltbildung von Kindern in Schulen. Was hat Sie dazu motiviert?

Die Weitergabe von Wissen hat mir immer Spaß gemacht und Kinder lassen sich sehr leicht für etwas begeistern. Der Weg von der Natur zu den Naturwissenschaften ist nicht so weit, so dass ich hoffe, mit meiner Arbeit das Interesse der Kinder an der Natur und Umwelt zu wecken. Themen gibt es reichlich.

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