
Sabine Tschiersich, Referatsleiterin Aus- und Fortbildung, Gesundheitsmanagement und Inklusionsbeauftrage an der BAM
Quelle: BAM
An der BAM arbeiten über 1.600 Menschen – Menschen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen, mit verschiedenen Sprachen und Bedürfnissen. Wie vereint man all das? Und welche Vorteile können sich aus der gemeinsamen Arbeit ergeben? Ein Gespräch mit der BAM-Inklusionsbeauftragten Sabine Tschiersich.
Inklusion ist ja schon eine Art Modewort – was bedeutet es überhaupt?
Inklusion ist ein neuer Ansatz im Schwerbehindertenrecht, der die jahrzehntelangen Integrationsgedanken abgelöst hat. Das durch die UN-Behindertenrechtskonvention begründete und seit 2009 in Deutschland geltende Konzept der Inklusion geht davon aus, dass in der Gesellschaft jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an dieser teilhaben kann – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit oder Bildung, von eventuellen Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen.
In der inklusiven Gesellschaft gibt es keine definierte Normalität, die jedes Mitglied dieser Gesellschaft anzustreben oder zu erfüllen hätte. Normal ist allein die Tatsache, dass Unterschiede vorhanden sind. Diese Unterschiede werden als Bereicherung aufgefasst und haben keine Auswirkungen auf das selbstverständliche Recht der Individuen auf Teilhabe. Aufgabe der Gesellschaft ist es, in allen Lebensbereichen Strukturen zu schaffen, die es den Mitgliedern dieser Gesellschaft ermöglichen, sich barrierefrei darin zu bewegen.
Was heißt Inklusion konkret an der BAM?
In dem vorbenannten Sinne geht es in der täglichen Inklusionsarbeit an der BAM um die konkrete Umsetzung einer uneingeschränkten Teilhabe. So ist beispielsweise im Rahmen von Einstellungsverfahren zu gewährleisten, dass schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber bei gleicher Eignung die Chance auf Teilnahme am Bewerbungsgespräch erhalten. Darüber hinaus geht es aber auch um Barrierefreiheit bei der Gestaltung von Laboren, Büros oder bei der Einführung von Software. Die Inklusionsarbeit ist sehr vielfältig und durchdringt alle Lebensbereiche der BAM.
Wie arbeiten Inklusionsbeauftragte und Schwerbehindertenvertretung zusammen?
Beide Funktionen sind im Sozialgesetzbuch (SGB) IX vorgesehen: Die Schwerbehindertenvertretung ist eine von den schwerbehinderten Beschäftigten gewählte Interessenvertretung und der/die Inklusionsbeauftragte ist der/die von dem/der Arbeitgeber/in bevollmächtigte Vertreter/in für alle Angelegenheiten der schwerbehinderten Beschäftigten. So ist an der BAM Herbert Saul die Vertrauensperson der Schwerbehinderten und ich bin als Inklusionsbeauftragte tätig. Beide, wie Herr Saul so treffend bemerkt, sind Sozialpartner und so arbeiten wir auch täglich zusammen! Wir haben ein Ziel, die Umsetzung des Schwerbehindertenrechts zum Wohle der schwerbehinderten Beschäftigten und des Hauses zu realisieren.
Das setzt ein hohes Maß an Kommunikation und Abstimmung voraus. Ich habe mit Herrn Saul
einen überaus vertrauensvollen und engagierten Partner von den Wählerinnen und Wählern zur Seite gestellt bekommen. Die Zusammenarbeit macht mir sehr viel Freude.
Was kommt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an: Welche Rolle spielt Inklusion im Arbeitsalltag von Wissenschaft und Verwaltung?
Wir nehmen uns viel Zeit für die Einzelberatung von Mitarbeitenden. Insbesondere die Beantragungen des Schwerbehindertenstatus‘ oder Verfahren zur Veränderung des Grades der Schwerbehinderung bilden einen Arbeitsschwerpunkt. Beratungen über Hilfsmittel bzw. Ausgestaltung von Arbeitsplätzen wie auch Konfliktberatungen gehören ebenfalls zur Alltagsarbeit.
Wie kann gelungene Inklusion an der BAM aussehen?
Es gibt viele gute Einzelbeispiele für gelungene Inklusion. Etwa die Inklusionsgruppe selbst: Sie besteht aus den gewählten Mitgliedern der Schwerbehindertenvertretung, einem Mitglied des Personalrates und mir. Wir mussten uns erst einmal zusammenfinden, unsere Stärken und Talente entdecken und über gesundheitlichen Einschränkungen sprechen. Inzwischen hat sich aus dieser Zufallsgemeinschaft mit gemeinsamer Aufgabe ein Team entwickelt, in dem jede/r nach ihren/seinen Möglichkeiten arbeitsteilig zum Gesamterfolg beiträgt. Gesundheitliche Einschränkungen, wie eine verminderte Seh- oder Hörfähigkeit, spielen bei der Teilhabe an unserer Arbeit eine nur untergeordnete Rolle. Alle haben gelernt, Rücksicht zu nehmen und die Tätigkeiten nach Fähigkeiten zu verteilen.
Was wünschen Sie sich in Bezug auf Inklusion noch?
Ich wünsche mir weiterhin eine konstruktive Haltung der Beschäftigten und insbesondere der Führungskräfte zu Fragen der Inklusion. Man sollte bedenken, dass man selbst oft nur einen kleinen Schritt davon entfernt ist, gesundheitlich eingeschränkt zu sein. Wir müssen gemeinsame Lösungswege finden und nicht Begründungen, warum Dinge nicht gehen. Diese Einstellung würde uns nicht nur in der Inklusionsthematik weiterführen.
Was kann jeder selbst tun?
Jede/r kann an ihrer/seiner Haltung gegenüber anderen arbeiten. Inklusion ist für mich eine Haltung, die uns über die eigentliche Umsetzung des Schwerbehindertenrechts hinausführt und unser Zusammenleben im Sinne der Wertschätzung und einer Wertschöpfung bereichern kann. Wer Mitmenschen als einzigartige Individuen begreift, die mit vielfältigsten Eigenschaften und Talenten ausgestattet und nicht „genormt“ sind, wird ihnen wohlwollender begegnen – und wird Vielfältigkeit als Bereicherung für sich selbst und für die Qualität der gemeinsamen Arbeit erleben.