Seit Juli 2023 ist Prof. Dr. Thomas Böllinghaus, an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) Leiter der Abteilung Komponenten-Sicherheit, neuer Präsident des International Institute of Welding (IIW), der weltweit führenden Vereinigung nationaler Organisationen auf dem Gebiet der Schweißtechnik. Im Interview spricht er über die Bedeutung der Schweißtechnik für das 21. Jahrhundert und verrät, welche Ziele er sich für seine dreijährige Amtszeit gesetzt hat.
Das Schweißen praktizieren Menschen seit der Bronzezeit. Worin liegt die Bedeutung dieser vergleichsweise ‚archaischen‘ Technik für das 21. Jahrhundert?
Tatsächlich: Bereits in der Bronzezeit haben Menschen Metalle wie Kupfer und Zinn durch Schmelzen miteinander verbunden, also quasi geschweißt. Seitdem und insbesondere in den letzten 150 Jahren hat die Schweißtechnik eine rasante Entwicklung genommen, von der Erfindung des elektrischen Schweißens mit Lichtbogen an der Wende zum 20. Jahrhundert, der Normierung und Standardisierung von Schweißprozessen in den 1950er Jahren bis zur Einführung des Schweißens mit Hochleistungslasern seit Beginn dieses Jahrtausends. Heute ist das Schweißen eines der häufigsten industrielle Fertigungsverfahren überhaupt und eine Schlüsseltechnologie jeglicher Industrialisierung. Auch für die Transformation zur Klimaneutralität ist es unverzichtbar, sei es z.B. bei der Errichtung von Windparks oder im Anlagenbau für die Produktion, Speicherung und den Transport von grünem Wasserstoff und seinen Derivaten.
Welche Bedeutung kommt dem IIW in dieser technischen Entwicklung zu?
Ziel des 1948 gegründeten IIW war es von Anfang an, nicht nur die Qualität, sondern vor allem die Sicherheit geschweißter Komponenten zu gewährleisten und zu erhöhen. Das geschieht seitdem über zwei Säulen: den intensiven internationalen Austausch von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen in den Kommissionen des Technical Management Board (TMB) einerseits und der Etablierung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung bis hin zur/m Schweißfachingenieur*in in den Kommissionen des International Authorization Board (IAB) andererseits, beides mit dem Ziel die Anwendbarkeit des Schweißens in der Industrie kontinuierlich zu verbessern.
In welche Richtung geht die technologische Entwicklung beim Schweißen?
Im 21. Jahrhundert wird die Automatisierung und Digitalisierung in der Schweißtechnik weiter voranschreiten. Mit der in-situ-Verarbeitung beim Schweißen digital erfasster Daten ist es heute möglich, eine sofortige Prozessanpassung vorzunehmen und so von vornherein Fehler in den Verbindungen auszuschließen. In Kombination mit hochpräziser Robotersteuerung wird diese Technik zukünftig insbesondere beim Schweißen der Rohrknoten von Offshore-Windkraftanlagen eingesetzt werden. Die Schweißtechnik ist heute zunehmend KI-ready. Dadurch verändert sich natürlich nicht nur ihre industrielle Anwendung, sondern es muss sich auch die Ausbildung verändern, in der es vermehrt darauf ankommen wird, den Nachwuchs in der Robotersteuerung und Datenerfassung zu schulen.
Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld moderner Schweißtechnik ist die additive Fertigung, deren Basis bei metallischen Komponenten ja schweißtechnische Prozesse sind. Innerhalb des IIW tragen wir dieser Entwicklung durch einen intensiven Forschungsaustausch zu „Additive Manufacturing“ Rechnung. In der Ausbildung hat das IIW nunmehr neben dem bekannten Prädikat des „International Welding Engineer“ zusammen mit der European Welding Federation (EWF) den „International Additive Manufacturing Engineer“ eingeführt.
Welche Akzente wollen Sie als Präsident des IIW setzen?
Ich möchte eine noch intensivere Verbindung von Forschung und Entwicklung im TMB mit der Ausbildung und Lehre (IAB) andererseits erreichen. Gleichzeitig soll das IIW auf breiterer Basis noch internationaler werden. Derzeit sind rund 50 nationale Organisationen aus etwa 48 Ländern bei uns Mitglied - weltweit gibt es aber fast 200 Staaten. In Zukunft wollen wir vor allem Regionen stärken, die sich gerade in der Industrialisierung befinden, also beispielsweise Länder in Afrika oder in Südamerika. Gleichzeitig möchten wir verschiedenen Regionen und schweißtechnische Vereinigungen auf der Welt noch stärker unter dem Dach des IIW zusammenführen. Schließlich möchte ich unseren wissenschaftlichen und technischen Nachwuchs noch stärker als bisher fördern und sie mit dem ganz besonderen Spirit unserer Community begeistern.
Das Schweißen galt lange Zeit als eher männliche Tätigkeit. Ist das heute immer noch so?
Das Image der Schweißtechnik hat sich mit dem beschriebenen Wandel und der Einführung neuer Technologien wie der additiven Fertigung und ihrer Anwendung im Bereich der neuen Energieträger von „dirty, dusty, dangerous“ zu „cool, clever, clean“ gewandelt. Damit zieht das Thema Schweißen schon lange nicht mehr nur männlichen Nachwuchs an, was sich gerade in afrikanischen Ländern zeigt, , wo sich viele Universitätsabsolventinnen für einen entsprechenden Berufsweg interessieren.
An der BAM (und ihren Vorgängerinstitutionen) ist das Schweißen als Fügetechnik seit den 1920er Jahren etabliert. Wo liegen aktuelle Schwerpunkte der Forschung an der BAM?
Schon mehr als 50 Jahre tauschen die Mitarbeiter*innen der BAM ihre Erkenntnisse aus Forschung und Entwicklung intensiv mit der internationalen Community des IIW aus. Und nach inzwischen 100 Jahren Schweißtechnik an der BAM stehen nunmehr die schweißtechnischen Herausforderungen, die ‚neue‘ Energieträger wie Wasserstoff oder Ammoniak, im Zusammenhang der Transformation zur Klimaneutralität stellen, im Vordergrund. Bis zu 80 Prozent des Bedarfs an diesen Energieträgern werden wir nach Deutschland importieren müssen. In Europa sollen für die Verteilung und Versorgung vor allem die bisherigen Erdgasnetze genutzt werden. Wasserstoff verhält sich jedoch anders als Erdgas und kann so die mechanischen Eigenschaften, insbesondere die Duktilität (das Verformungsvermögen) von Stahlwerkstoffen in Pipelines beeinträchtigen, das gilt insbesondere für die Schweißverbindungen.
In Ländern wie Namibia beispielsweise, das weltweit mit die besten Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff mittels Solarstrom und Elektrolyse besitzt, eröffnet sich die Chance, hierfür neue Versorgungs- und Produktionssysteme mit innovativen Werkstoffen, allen voran modernsten Stählen, zu schweißen. Wir unterstützen das als BAM mit Top-down Capacity-Building in Form der Doktorand*innen-Ausbildungen im Rahmen einer engen Forschungskooperation mit Namibia.
Was fasziniert Sie persönlich am Schweißen? Und mit welcher schweißtechnischen Fragestellung beschäftigen Sie sich gerade?
Mich haben schon immer schweißtechnische Anwendungen unter extremen klimatischen Bedingungen fasziniert, z.B. das Unterwasser-Schweißen, numerische Simulationen zur Vermeidung einer Wasserstoffrissbildung und die Vermeidung von Risskorrosion an Rohrleitungen für die Offshore-Industrie. Eines meiner aktuellen Forschungsvorhaben an der BAM widmet sich der Materialkompatibilität innovativer Stähle und deren Schweißverbindungen für Wasserstoffanwendungen in maritimen Wüstenklimata, wie sie etwa in Namibia herrschen.