07.02.2023

Die mikroskopischen Vorgänge beim Schmelzen von Gläsern sind noch weitgehend unverstanden. Eine Publikation unter Beteiligung der BAM liefert jetzt neue Erkenntnisse.

Die mikroskopischen Vorgänge beim Schmelzen von Gläsern sind noch weitgehend unverstanden. Eine Publikation unter Beteiligung der BAM liefert jetzt neue Erkenntnisse.

Quelle: wjarek/Adobe Stock

Hochleistungsgläser kommen in Glasfaserkabeln, E-Akkus, Brennstoffzellen und vielen weiteren Anwendungen zum Einsatz. Ein Team von Forscher*innen unter Beteiligung der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) hat jetzt eine universelle Beziehung zwischen der thermischen Ausdehnung und der Glasübergangstemperatur von glasbildenden Materialien entdeckt. Die Erkenntnisse, die soeben im Fachblatt „Nature Physics“ veröffentlicht wurden, geben neue Einblicke in die komplexe Natur des Übergangs zwischen Flüssigkeit und Glas.

Gläser sind feste Materialien, allerdings besitzen sie nicht die in den meisten Festkörpern vorhandene regelmäßige Kristallstruktur. Das Schmelzen kristalliner Materialien ist im Rahmen des sogenannten Lindemann-Kriteriums gut verstanden: Beim Aufheizen werden die Vibrationen der Atome oder Moleküle irgendwann so stark, dass diese sich aus ihrer gitterartigen, kristallinen Anordnung lösen und das Material schmilzt. Dabei besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Schmelztemperatur und der Volumenänderung des Materials.

Für Gläser, einem der ältesten Werkstoffe der Menschheit, sind diese mikroskopischen Vorgänge jedoch bislang noch weitgehend unverstanden. Birte Riechers, Physikerin an der BAM, hat zusammen mit Kolleg*innen der Universitäten Augsburg, Mailand und Göttingen die Verflüssigung von Gläsern nun genauer untersucht. Dabei zeigten sich unerwartete Ergebnisse, die soeben in dem renommierten Fachmagazin Nature Physics unter dem Titel „Thermal expansion and the glass transition“ veröffentlicht wurden.

Grundlegend ist, dass bei Gläsern der Übergang vom festen in den flüssigen Zustand stark durch die sogenannte Kooperativität der Atome und Moleküle beeinflusst wird. Darunter versteht man, dass sich diese Bausteine der Materie im Zusammenspiel mit ihrer Umgebung bewegen. Das wiederum hat zur Folge, dass bei Gläsern das Lindemann-Kriterium für den Übergang von fest zu flüssig explizit nicht gilt. Den Nachweis dafür konnte das Team durch die Analyse von Daten zur thermischen Ausdehnung und der Glasübergangstemperatur von über 200 verschiedenen Materialien erbringen, die erst unter Berücksichtigung ihrer materialspezifischen Kooperativität ein universelles Verhalten zeigen.

Diese neue Erkenntnis ermöglicht eine Vorhersage der Glasübergangstemperatur durch Messung der thermischen Ausdehnung – und umgekehrt. Zudem ist die thermische Ausdehnung im flüssigen Zustand um etwa den Faktor 3 größer als im Glaszustand eines Materials, gleichgültig zu welcher Klasse von Glasbildnern es gehört.

„Unsere Datenauswertung zeigt, dass der Übergang von fest zu flüssig bei Gläsern nicht als einfacher Schmelzvorgang angesehen werden kann, sondern dass korrelierte Bewegungen der Teilchen eine entscheidende Rolle spielen", resümiert Birte Riechers die Untersuchungen. Die gefundenen Abhängigkeiten versprechen ein tieferes Verständnis von unterschiedlichen Hochleistungsmaterialien wie Silikatgläsern, Polymeren und metallischen Gläsern.

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