01.04.2019
Aufeinanderfolgende Stadien der Ermüdungsrissausbreitung

Aufeinanderfolgende Stadien der Ermüdungsrissausbreitung

Quelle: BAM, Fachbereich Betriebsfestigkeit und Bauteilsicherheit

Viele technische Strukturen werden im Betrieb schwingend belastet, man spricht von „Ermüdung“. Da die Beanspruchbarkeit bei schwingender gegenüber statistischer Last deutlich verringert ist, überrascht es nicht, dass Ermüdung in der Praxis eine der Hauptursachen für Bauteilversagen ist. Stahltragwerke können davon ebenso betroffen sein wie Radsatzwellen in Schienenfahrzeugen, oder Hüftprothesen. Die Vermeidung von Ermüdungsschäden ist eine vorrangige Aufgabe der Bauteilauslegung.

In der Praxis sind für die sichere Bauteilauslegung verschiedene „Werkzeuge“ im Einsatz. Das klassische Schwingfestigkeitskonzept soll gewährleisten, dass die Bauteile über ihre gesamte projizierte Lebensdauer sicher betrieben werden. Z.B. aufgrund schwierig zu beschaffender Eingangsinformationen ist völlige Sicherheit aber oft nicht zu garantieren, weshalb bei sicherheitsrelevanten Komponenten weitere Maßnahmen wie regelmäßige Inspektionen nachgeschaltet werden. Hier ist neben der zerstörungsfreien Prüfung die Bruchmechanik gefordert, die Aussagen über die Entwicklung eines oder mehrerer potentieller Risse, d.h., die Geschwindigkeit des Risswachstums, die Rissgröße, für die Versagen zu erwarten ist usw. liefern kann.

Während sich das Schwingfestigkeitskonzept auf die Gesamtlebensdauer bei Annahme eines potentiell defektfreien Zustands bezieht, liefert die Bruchmechanik Aussagen über die Restlebensdauer von Bauteilen mit einem Riss als schlimmstmöglichem Defekt. Das Verfahren hat aber weiteres Potential, sofern einige grundsätzliche Probleme gelöst werden: Deren Diskussion und Vorschläge zu ihrer Lösung sind Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes. Die Abbildung illustriert die unterschiedlichen Phasen der Rissausbreitung in Abhängigkeit von der Rissspitzenbelastung. Der Riss beginnt nach seiner Bildung an einem nichtmetallischen Einschluss, einer Pore im Werkstoff, einem Korrosionsgrübchen usw. als sogenannter „mikrostrukturell kurzer“ Riss zu wachsen. Ab einer bestimmten Größe geht er in einen „mechanisch/physikalisch“ kurzen Riss über, um schließlich als sogenannter „langer Riss“ seinen kritischen Zustand zu erreichen. Ersichtlich ist, dass sich das Wachstumsverhalten des Risses über die unterschiedlichen Phasen deutlich verändert. Gelingt es, dies vorherzusagen, so stellt die Bruchmechanik eine wertvolle Ergänzung zur klassischen Schwingfestigkeit dar. Einflussgrößen, die konventionell halbempirisch erfasst werden, werden dabei physikalisch modelliert.

Fatigue strength and fracture mechanics - A general perspective
Uwe Zerbst, Mauro Madia, M. Vormwald, T. Beier
Engineering fracture mechanics, 2018, Volume 198
BAM Abteilung Komponentensicherheit, Fachbereich Betriebsfestigkeit und Bauteilsicherheit